Dienstag, 16. November 2010

Philosophisch betrachtet

Der ältere Herr im Fond meines Taxis schaute interessiert in Richtung Holocaust Mahnmal, als wir es rechts liegen ließen.
"Aha, das ist ja richtig gut besucht."

"Ja, die Menschen interessieren sich dafür. Allerdings muss ich mir hier im Taxi dann auch mal blöde Bemerkungen anhören wie vor kurzem von Fahrgästen. Da meinte einer sowas wie: 'Mein Vater ist erst jahrelang später aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Dem setzt auch keiner ein Denkmal.' Obwohl ich normalerweise politischen Diskussionen im Taxi aus dem Weg gehe, habe ich doch noch eine eigene Meinung und so entgegnete ich: 'Da verwechseln Sie jetzt aber Ursache und Wirkung.'"

Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einschätzen konnte, wie mein Statement bei ihm ankam und er auch weiter nicht darauf einging, kam jetzt ein nettes Gespräch in Gang. Er erzählte mir vom Anlass seines Aufenthalts in Berlin und im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde ich stutzig. Hmm, was der so erzählt, den müsste man aber kennen. Er verriet mir auch seinen Namen und hallo, klar kenne ich den. Ein bedeutender deutscher Philosoph und Soziologe. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich sogar in meiner Sturm- und Drangzeit mal was von ihm gelesen. (Ob ich es auch wirklich verstanden habe, steht auf einem anderen Blatt.)

Ich outete mich dann als Blogger, was er nicht so richtig einschätzen konnte, und er erwiderte, dass er das Internet nur zum Recherchieren von Jahreszahlen benutzen würde. Macht ja nichts.
Meine Anfrage, ob ich denn im Blog erwähnen dürfte, ihn als Fahrgast gehabt zu haben, beantwortete er zuerst mit: 
"Das kann ich ja gar nicht verbieten." 
"Verbieten wahrscheinlich nicht. Aber wenn es Ihnen nicht recht ist, schreibe ich auch nichts darüber." 
"Das wäre mir schon recht, wenn Sie es nicht erwähnen würden. Aber das müssen Sie selbst entscheiden."
Er hatte noch einen Koffer im Kofferraum und als ich ihm beim Ausladen behilflich war, verabschiedete er sich von mir per Handschlag mit der Bemerkung:
"Das mit der Ursache und Wirkung, das hat mir sehr gefallen. Sie wissen ja wohl, dass die meisten Taxifahrer da anders denken."
Ja, weiß ich.

Und ich hoffe, dass ich mit dieser Art der Schilderung der Geschichte seine Anonymität gewahrt habe.Das ist ja nicht ganz so einfach, einen solch prominenten Fahrgast an Bord zu haben und dann gar nicht darüber zu berichten.

(Wenn es jetzt jemand rausgekriegt haben sollte, einfach nur denken und nicht in die Kommentare schreiben. Bitte!)

7 Kommentare:

  1. Also erstmal um dich zu beruhigen, auch als Philosophiestudent ist es mir nicht möglich herauszufinden um wen es geht. Dafür dann doch zu wenig Anhaltspunkte.
    Muss dir aber auf jeden Fall recht geben, was Ursache und Wirkung anbelangt. Auch wenn man über die Frage, warum keiner an die in Kriegsgefangenschaft gestorbenen denkt, denn auch sie sind mehr oder weniger unverschuldet hinein gezogen worden.

    AntwortenLöschen
  2. @maltejs
    Das sind aber zwei verschiedene Themen. Im Kontext Holocaust ist solch ene Bemerkung einfach nur ignorant und respektlos.
    Zugegeben, es geht noch schlimmer. Fahrgäste haben mal einen Kollegen zitiert: "Das hier ist die Baustoffhandlung von Berlin" soll dieser gesagt haben. Das war es wohl, was der Professor meinte mit seiner Schlussbemerkung.

    AntwortenLöschen
  3. Ich weiß es, ich weiß es!!!
    Es war Moses Mendelssohn!
    Richtig?

    AntwortenLöschen
  4. Mendelson ist tot
    aber Mike Lehmnan wäre ne schöne Idee, philosophieren kann er ja, und wenn es über subtilen Humor ist.
    @Klaus, ok im Kontext des Holocaust sind sie an der falschen Stelle. Wobei ich nun zur Generation gehöre, die langsam versucht zur Normalität überzugehen. Das mit der Baustelle ist wirklich daneben.
    Aber zugegeben, hat es auch die vielen Familien getroffen, wo die Väter nicht da waren und woran viele Familien kaputt gingen. Wird viel zu wenig thematisiert, auch in der Fachliteratur.

    AntwortenLöschen
  5. @Aro
    Kein Jude. ;-)
    @Nick
    Ein älterer Herr!
    @maltejs
    Extra für Dich habe ich noch einen kleinen Hinweis in meinen letzten Kommentar gepackt. ;-)

    AntwortenLöschen
  6. So jung ist Peter Neuber nun auch nicht mehr ;)

    AntwortenLöschen